Kennst Du das Gefühl, wenn dir alles zuviel wird und du am liebsten laut schreien würdest? Aber ein dicker, ekliger Kloß steckt in deinem Hals fest und verhindert, dass auch nur irgendein Ton deinen Körper verlässt.

In meiner Herkunftsfamilie mütterlicherseits war das „Brüllen“, wie es von meiner Mutter benannt und der Familie väterlicherseits gelebt wurde, sehr verpönt. Wenn mein Vater und seine Brüder zusammenkamen glich das ganze einer wilden Horde von laut sprechenden, wild gestikulierenden und im Zornesfall unüberhörbar „brüllenden“ 😊 Menschen. Die leise Fraktion, sprich Mütter und Omas und Tanten hatten dafür kein Verständnis und so gab es den ständigen Kampf zwischen Menschen, die sich und ihrem Ärger lautstark Luft machten und jenen, die subtil und andere anprangernd das einforderten, was sie wollten. Natürlich machte sich jede Seite über die andere lustig. Als Kind bzw. Jugendliche dachte ich nicht viel darüber nach, auf welche Seite ich mich stellen wollte, mit zunehmendem Alter wurde die dominantere Erblinie jedoch deutlich sichtbar!
Streits zwischen meinem Vater und mir waren kurz und heftig, dafür aber schnell wieder vorbei, während sich Streits mit meiner Mutter oft lange Zeit hinzogen. Oft schmollte sie, bestrafte mich mit Schweigen und auch Jahre später wurde ich daran erinnert, was ich „damals“ verbrochen hatte. Irgendwie konnte und mochte ich mich mit ersterer Art besser zurechtfinden.
Heute als Erwachsene, Mutter dreier Kinder und Stiefmutter zweier Patchwork-Kids gibt es eigentlich wenig, was mich wirklich noch erschüttern kann oder mich zum Ausflippen bringt. Wenn es jedoch dazu kommt, dann kann es passieren, dass ich meinen „Schrei-Raum“ ausnütze. Ich mache meinem Ärger Luft – denn Ärger im Inneren ohne Ventil gleicht einem Druckkochtopf. Entweder wird der Körper krank oder es kommt irgendwann der Zeitpunkt, wo man sich dann nicht mehr zurückhalten kann, und man explodiert. Dinge, die mich zur Weißglut bringen, sind zB unnütze Streits darüber, wer mehr hat, Ungerechtigkeiten, Intrigen, Lügen, Opferrollen, jemand die eigene Meinung ungebeten überstülpen, lieblose Religion, unnütze Gesetze, verkannt oder für blöd verkauft zu werden und ausgenützt zu werden.
Immer wieder fanden sich Personen, die mich und meine Art kritisierten, meine Lautheit oder mein Temperament als unangebracht fanden. Für mich hat dies viel mit Authentizität zu tun. Ich bin der Meinung – und das ist inzwischen auch wissenschaftlich erwiesen – dass Kinder und Jugendliche eine ganz feine Nase für Stimmungen und Schwingungen haben und dass sie sehr genau unterscheiden können, ob Erwachsene authentisch sind oder nicht. Wenn ich wütend bin, sehen mich meine Kinder wütend, wenn ich traurig bin, sehen mich meine Kinder traurig und wenn ich fröhlich und gut gelaunt bin, dann sehen meine Kinder eine kongruente Person innen und außen, die kein komisches „was war da nochmal schnell“ Gefühl in den Kindern zurücklässt.
Wie geht es dir damit? Bist du eher eine laute oder leise Person? Machst du deinem Ärger Luft und falls, wie machst du das? Beschimpfst du alle umliegenden Personen oder lässt du dich über die nicht funktionierende Sache aus? Durftest du als Kind laut sein oder fandest du dich in einem Umfeld wieder, in dem von dir erwartet wurde, sich anzupassen und möglichst wenig aufzufallen? Diese Fragen kannst du gerne in dir überdenken und für dich beantworten!
Heuer im Februar löste eine Gruppe von Menschen, die im Wald eine Schreitherapie durchführen wollte, in Deutschland einen Polizeieinsatz aus, denn Spaziergänger hörten die Schreie im Wald und dachten an einen Überfall. Vielleicht wäre das ja ein gangbarer Weg. Die Luft kontrolliert Ablassen, einen Schrei-Raum aufsuchen, um sich dort alles von der Seele zu schreien. Für manche ist es Singen, für andere das Gebet. Fakt ist, es gehört raus aus dem Körper um Platz zu machen für Neues, Frisches, Gesundes. In jedem Fall reicht es nicht, passiv zu bleiben. Aktives aus- und einatmen, Luft ausströmen lassen im ruhigen Sinne (Meditieren) oder im lauten (Schreien) bringt den Kreislauf wieder in Schwung und uns in Bewegung. Wichtig ist in all diesen Dingen „Ich-Botschaften“ loszuwerden. „Ich bin jetzt total wütend“ statt „Du hast wieder alles falsch gemacht“ oder „Mich ärgert dies und das“ statt „Warum musst du immer …“ , dann wissen die umliegenden Personen auch, womit sie es zu tun haben und dass sie es nicht persönlich nehmen müssen. Wir sind Menschen mit Gefühlen und so unterschiedlich unsere Tage ablaufen so unterschiedlich sind auch unsere Gefühlspakete, die in uns schlummern. Trauer entlädt sich über Schweigen und Weinen, Freude über Lächeln oder Lachen, Wut über eine lautere Stimme und Enttäuschung über eine gebeugte Haltung und eher leise Worte. Und auch hier macht es jede Person wieder ein wenig anders.
Ich denke, es ist legitim, zu klagen und Dinge, die falsch laufen beim Namen zu nennen. Auch das unterstützt unsere Psychohygiene. Wo es kritisch wird und das ist inzwischen auch schon zu einem Gesellschaftsproblem geworden, ist die dauernde Auseinandersetzung damit – ein Jammern, welches weder vor noch zurückführt.
Ich wünsche Dir auf deiner Auseinandersetzung mit Dir und deinem Inneren den Schrei-Raum, den du benötigst, um alles loszuwerden, was sich in dir aufgestaut hat. Ich wünsche Dir den Ruhe-Raum, in dem du ruhig sein und Kraft tanken kannst und ich wünsche Dir einen besseren Zugang zu dir und deinen Gefühlen.
In diesem Sinne
Be a voice, not an echo!
Eure Katrin
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